Er wird über Parteigrenzen hinweg als Politiker und Redner geschätzt, ist häufiger Gast in Talk Shows: Gregor Gysi. Nachdem TradeTalk-Herausgeber Herausgeber Melanie Goll und Dieter Knaut im letzten Magazin 2016 den FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner interviewten, trafen sie sich für die aktuelle Ausgabe zum Gespräch mit dem gut aufgelegten Chef der Europäischen Linken

 

Der österreichische Außenminister Kurz hat in einem Interview gesagt: „Mir ist egal, ob eine Position als rechts oder links gilt, wenn ich sie für richtig halte“– stimmen Sie dem zu?

Nein, da stimme ich nicht zu. Ich glaube auch nicht, dass ihm das wirklich egal ist. Für mich bist du nur dann ein Linker, wenn du an der Seite aller Schwachen stehst. Wenn du nur an der Seite der Schwachen deiner Nationalität stehst, dann bist du nicht links – dann kannst du sogar extrem rechts sein. Das ist der Unterschied. Trump interessieren beispielsweise die Mexikaner, die Ecuadorianer überhaupt nicht,  nichts interessiert ihn außer den USA – das ist für mich überhaupt nicht links und deshalb lege ich Wert auf diesenUnterschied.

In einem gebe ich Herrn Kurz aber Recht: Wenn ich etwas für vernünftig halte, halte ich es für vernünftig  dann ist mir auch ziemlich wurscht wie andere das einordnen.

14.03.2017_Foto:Ingo Lammert; Tradetalk Interview mit Gregor Gysi Photographie*Ingo Lammert Veröffentlichung nur nach Absprache und gegen Honorar mit Urhebernennung Ingo Lammert phone 0170-81 285 89 ila-photo@unitybox.de Bankverbindung: Kreditinstitut: Stadtsparkasse Düsseldorf BLZ: 300 501 10 Kontonummer: 100 6150 948 IBAN: DE54 3005 0110 1006 1509 48 BIC: DUSSDEDDXXX Foto (c) Ingo Lammert

Ist es schwer als Spitzenpolitiker eine Balance herzustellen zwischen Arbeit und Entspannung?

Ganz schwer. Man muss älter werden und vieles richtig einordnen. Ich musste auch erst wieder richtig urlaubsfähig werden. Politiker müssen begreifen, dass sie neben aller Hektik auch Phasen der Ruhe brauchen, nicht nur um sich auf die Familie zu konzentrieren, sondern auch um gut Politik machen zu können. Wenn du diese Phasen nicht hast, werden deine Gedanken nicht klüger, die werden auch nicht tiefgehender sondern die werden oberflächlicher. Das bringt also gar nichts.

Es gibt ja nicht so viele Politiker, die selbst entscheiden, wann sie loslassen. Wissen Sie, woran das liegt?

Wenn du Kanzler oder Kanzlerin bist, dann denkst du, du bist der beste Kanzler. Dann sagst du, ich muss das weitermachen. Weder Helmut Kohl noch Angela Merkel können sich die Phase danach vorstellen, die wissen auch nicht woher Ihre Bedeutung kommen soll. Bei mir ist das anders. Ich hatte immer eine kleine Distanz zu dem was ich getan habe. 2013 habe ich gesagt, 2015 höre ich auf als Fraktionsvorsitzender der Linken. Ich wollte selbst entscheiden zu gehen, ich wollte nicht dass es über mich kommt. Aber ich kandidiere nach wie vor für den Bundestag, denn falls es wirklich zu einer Koalition von SPD, Linken und Grünen kommen sollte, ist doch mein permanenter, störender und unerbetener Ratschlag aus der Nähe dringend erforderlich.

So eine Koalition halten Sie für wahrscheinlich?

Ich halte es nicht für sehr wahrscheinlich, aber inzwischen auch nicht mehr für unmöglich. Grund ist folgender: Die Rechtsentwicklung können wir nur unter ganz bestimmten Bedingungen in Deutschland aufhalten. Union und SPD sind sich zu ähnlich geworden Merkel hat die Union sozialdemokratisiert und Schröder und seine Nachfolger haben die SPD entsozialdemokratisiert. Früher waren das immer Alternativen, wenn die Union gewonnen hat, hat die SPD verloren und umgekehrt. Jetzt bei den letzten Wahlen haben beide verloren, weil sie sich zu ähnlich geworden sind. Es ist eine historische Aufgabe die Rechtsentwicklung zu stoppen.  Dafür brauchen wir mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Steuergerechtigkeit auch zugunsten der Mitte, denn die Mitte der Gesellschaft zahlt alles und das Ganze muss im Bündnis mit den kleinen und mittleren Unternehmen geschehen. Das versuche ich der Linken zu erklären. 90 % der Arbeitsplätze stellen die kleinen und mittelständischen Unternehmen und wenn wir das nicht im Bündnis mit denen machen, geht das überhaupt nicht. Wenn Sie mich fragen wie viele das erkannt haben, mache ich ein Fragezeichen, aber ich werde nicht müde es ihnen zu erklären.

 

Sie sind Chef der europäischen Linken – was ist für Sie reizvoll am Brüsseler Parkett?

Die EU ist in einem desolaten Zustand: sie ist unsolidarisch, undemokratisch, unsozial, Intransparent, jetzt will sie auch noch militärisch werden. Es gibt von mir nur links und rechts Ohrfeigen – und dann sage ich wir müssen die EU retten. Dafür gibt es folgende Gründe. Erstens: die Jugend ist europäisch aufgewachsen. Wenn wir denen sagen, wir kehren zum Nationalstaat zurück, mit seinen Grenzkontrollen und Visaanträgen, damit können die gar nichts anfangen. Der zweite ist, dass die alten Nationalstaaten im Verhältnis zu USA und China wirtschaftlich gar kein Gewicht haben, nur als EU haben wir ein Gewicht. Drittens: die alten Nationalstaaten haben politisch gar kein Gewicht. Welche Rolle soll denn beispielsweise Luxemburg im Nahostkonflikt spielen? Viertens: durch die Integration ist ein deutscher Sonderweg ausgeschlossen. Und Fünftens: es gab noch nie einen Krieg zwischen Mitgliedsländern der europäischen Union, während vorher die gesamte europäische Geschichte von Kriegen gekennzeichnet war. Ich will nicht, dass unsere Kinder und Enkelkinder das noch einmal erleben.

Sie haben als erster Linken-Politiker den Karnevalsorden „wider den tierischen Ernst“ verliehen bekommen. Ehrt Sie das?

Das ist der närrische Orden, der am meisten in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Das ist schon ein wichtiger Orden, den ich übrigens als erster Ostdeutscher bekommen habe. Herr Kubicki von der FDP sagte danach zu mir: Sie haben völlig Recht das war heute ein Stück Herstellung der deutschen Einheit. Mit diesem Orden bin ich ja nun auch zum Ordensritter geworden und jetzt muss ich alle anderen Ritter duzen – das heißt ich muss Söder duzen, Kubicki duzen  – und na wie das wird, weiß ich auch noch nicht.

Was unterscheidet Herrn Gysi in der Bütt vom Herrn Gysi im Bundestag?

Das ist ein Riesenunterschied: Ich bin kein Komiker und kein Kabarettist – ich bin richtig nervös vor solchen Reden. Eine Woche vorher habe ich im Winterurlaub meine Freunde schon damit belästigt. Ich habe versucht eine gute Mischung von politischen Aussagen und unterhaltenden Momenten zu schaffen. Im Bundestag ist es genau umgekehrt – da will ich in erster Linie politisch sein und habe dann ab und zu ein unterhaltendes Moment. Schon damit man sich bestimmte Dinge leichter merkt. Außerdem gibt es in Deutschland einen Irrtum, der mich immer ärgert: du giltst in Deutschland nur dann als seriös wenn du kotzlangweilig bist. Ich möchte immer beweisen, dass das kein zwingender Zusammenhang ist.